Lebensweisheit!

Kirsten,
aus
Durmersheim

Lieber Wolfgang Borchert

wenn ich eines gelernt habe in meinem Leben, dann ist es das, was man unter "Erfahrungen sammeln" versteht!

Als damls 16 jährige musste ich Dein Leben und Deine Erzählungen in meiner Deutschprüfung als Referat schreiben und verbal verdeutlichen.

Ich kann dir sagen, ich habe es gehasst! Ich habe das alles nicht verstanden und das, obwohl ich zeitgleich in Geschichte das komplette Ausmaß des "Naziregimes" in allen Facetten kennenlernte. Sei es durch Filme, Augenzeugenberichte, Bücher Bilder oder sonstige Quellen, welche die Lehrer auftaten, um uns zu zeigen, wie es nicht mehr sein sollte.

Ich habe es vielleicht verstanden, aber nicht verstehen wollen. Es war mir zuviel Zwang, und ich wehrte mich innerlich dagegen.

Heute sitze ich da und schreibe Dir - Warum? Weil mein Sohn jetzt ebenfalls in der gleichen Situation ist wie ich vor 30 Jahren. Und das was mein Verstand heute im Alter zu mir sagt, etwas ganz anderes ist als das, was er damals gesagt hat.

Ich mag Deine Texte, und ich kann mich voll und ganz darauf einlassen. Ich habe das Verständnis bekommen, was ich damals schon hätte haben sollen. Und was sehe ich bei meinem Sohn? Das gleiche Unverständnis und die gleichen Reaktionen, wie ich Sie damals erlebt habe. Aufgrund dessen habe ich angefangen, mich wieder mit Dir auseinanderzusetzen und dies langsam an meinen Sohn weiterzugeben. Ich kann nur hoffen, dass er in dreissig Jahren die gleiche Altersweisheit hat, wie ich sie inzwischen habe. Ich bin dankbar, dass es solche Menschen wie Dich gab, die es fertigbrachten, das Erlebte und Gefühlte in Worte zu fassen und zu schreiben. Ich hätte Dir gerne ein längeres Leben gewünscht, denn heute frage ich mich manchmal, wie Du die Welt von heute in Worte fassen würdest?

Auf jeden Fall sei Dir eines gesagt: "Heute, nach dreißig Jahren, bin ich dankbar, Dich nochmals kennengelernt zu haben!"

Kirsten